Lit-Tipp 2: für Liebhaber Kurios-Kindisches aller Art
Diane Broeckhoven: Einmal Kind, immer Kind.
München: C.H. Beck 2005.
Naive Erzählerei?
Dadaisierung der "Erziehungsratgeber-Mentalität"!
Wenn Diane Broeckhovens Bücher bildende Kunst wären, würde sich das Etikett "Naive Malerei" aufdrängen. Wie die Maler jener Kunstgattung betont auch die flämische Autorin skurrile Besonderheiten, ungewöhnliche Szenen und Marotten der Akteure. "Naiv" ist auch deshalb ein nahe liegendes Attribut, weil Broeckhoven unvoreingenommen und ohne strenge Wertung die Charaktere zeichnet – wie ein introvertiertes Kind, das aus seiner stillen Ecke heraus beobachtet und das Gesehene ohne Showeffekte geradlinig wiedergibt. Aus dieser kindlichen Gerechtigkeit heraus (oder ist es doch aus einer erwachsen-ironischen Distanz?) lernt der Leser Flora kennen, die von ihrer übergriffigen Mutter und durch ihren vernarbten Bauch vor einige harte Lebensprüfungen gestellt wird. Als Floras Mutter plötzlich stirbt, wirft sich die junge Frau in die Arme des einzigen Mannes, der ihr je Interesse entgegengebracht hat – und wird zur Überraschung aller schwanger. Wie wenig man gelernte Muster verlassen kann, zeigt sich im Folgenden im ungesund engen Verhältnis von Flora zu ihrer entwicklungsverzögerten Tochter Roza.
Ohne den ausgetrampelten Umweg über die Tränendrüse zielt die lockere Erzählung mitten ins Herz. Man fühlt mit dem emotional überforderten Ehemann; bangt mit der kleinen Roza darum, dass ihr Respekt und Anerkennung zuteil wird; man spürt Floras Bemühen – aber auch ihre Begrenzungen und warum in der Kindererziehung "gut" manchmal das Gegenteil von "gut gemeint" ist. Ein Buch der versteckten, kleinen Wahrheiten über das familiäre Miteinander – nicht akademisch aufgeplustert, sondern ein aus nächster Nähe gezeichnetes Portrait einer Familie, an deren Leben man beim Lesen ungefiltert und ungeschönt teilnehmen darf. Ohne den blendenden Spot auf die Fehler des einzelnen zu halten, aber unter diskreter (aber dennoch liebevoller) Ausleuchtung der Schwachstellen des Systems. Man genießt das Augenzwinkern, das man hinter der Beschreibung der kleinen Skurrilitäten des Alltags entdeckt (wie Rozas Konfetti-Mania oder den Marienkult) und das warme Verständnis der Autorin für die Schwächen jedes Menschen. So könnte man wirklich zum Anhänger der naiven oder besser: frechen, kindlich-provokanten Dada-Herangehensweise werden. Und ein bisschen Dada in unserer so strengen Welt der Erziehungsratgeber ("Auch Ihr Kind kann schlafen/laufen/denken/lachen lernen – Band 1-15") macht auch Spaß. Mit der Dada-Distanz erkennt man die komischen Seiten unserer Neuröschen und Neurosen. Und das überraschende Ende der bittersüßen Familiengeschichte ist dann auch viel zu schnell da-da – aber wie’s genau ausgeht, wird nicht verraten! Ätsch!!!
(Nic 27.02.2006)
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